W. Biermann: Ballade vom Preußischen Ikarus

1.
Da, wo die Friedrichstraae sacht
Den Schritt aber das Wasser macht
da hangt aber der Spree
Die Weidendammerbracke. Schan
Kannst du da Preuaens Adler sehn
wenn ich am Gelander steh

dann steht da der preuaische Ikarus
mit grauen Flageln aus Eisengua
dem tun seine Arme so weh
er fliegt nicht weg - er starzt nicht ab
macht keinen Wind - und macht nicht schlapp
am Gelander aber der Spree

2.
Der Stacheldraht wachst langsam ein
Tief in die Haut, in Brust und Bein
ins Hirn, in graue Zelln
Umgartet mit dem Drahtverband
Ist unser Land ein Inselland
umbrandet von bleiernen Welln

da steht der preuaische Ikarus
mit grauen Flageln aus Eisengua
dem tun seine Arme so weh
er fliegt nicht hoch - und er starzt nicht ab
macht keinen Wind - und macht nicht schlapp
am Gelander aber der Spree

3.
Und wenn du wegwillst, muat du gehen
Ich hab schon viele abhaun sehn
aus unserm halben Land
Ich halt mich fest hier; bis mich kalt
Dieser verhaate Vogel krallt
und zerrt mich abern Rand

dann bin ich der preuaische Ikarus
mit grauen Flageln aus Eisengua
dann tun mir die Arme so weh
dann flieg ich hoch - dann starz ich ab
mach biachen Wind - dann mach ich schlapp
am Gelander aber der Spree



Ermutigung


Du, laß dich nicht verhärten
in dieser harten Zeit.
Die allzu hart sind, brechen,
die allzu spitz sind, stechen
und brechen ab sogleich.

Du, laß dich nicht verbittern
in dieser bittren Zeit.
Die Herrschenden erzittern
- sitzt du erst hinter Gittern -
doch nicht vor deinem Leid.

Du, laß dich nicht erschrecken
in dieser Schreckenszeit.
Das wolln sie doch bezwecken
daß wir die Waffen strecken
schon vor dem großen Streit.

Du, laß dich nicht verbrauchen,
gebrauche deine Zeit.
Du kannst nicht untertauchen,
du brauchst uns und wir brauchen
grad deine Heiterkeit.

Wir wolln es nicht verschweigen
in dieser Schweigezeit.
Das Grün bricht aus den Zweigen,
wir wolln das allen zeigen,
dann wissen sie Bescheid


Die hab´ ich satt

1
Die kalten Frauen, die mich streicheln
die falschen Freunde, die mir schmeicheln
Die scharf sind auf die scharfen Sachen
Und selber in die Hosen machen
In dieser durchgerissnen Stadt
- die hab ich satt!
2
Und sagt mir mal: Wozu ist gut
Die ganze Bürokratenbrut?
Sie wälzt mit Eifer und Geschick
Dem Volke über das Genick
Der Weltgeschichte großes Rad
- die hab ich satt!
3
Was haben wir denn an denen verlorn:
An diesen deutschen Professorn
Die wirklich manches besser wüßten
Wenn sie nicht täglich fressen müßten
Beamte! Feige! Fett und platt!
- die hab ich satt!
4
Die Lehrer, die Rekrutenschinder
Sie brechen schon das Kreuz der Kinder
Sie pressen unter allen Fahnen
Die idealen Untertanen:
Gehorsam - fleißig - geistig matt
- die hab ich satt!
5
Der Dichter mit der feuchten Hand
Dichten zugrunde das Vaterland
Das Ungereimte reimen sie
Die Wahrheitssucher leimen sie
Dies Pack ist käuflich und aalglatt
- die hab ich satt!
6
Der legendäre Kleine Mann
Der immer litt und nie gewann
Der sich gewöhnt an jeden Dreck
Kriegt er nur seinen Schweinespeck
Und träumt im Bett vom Attentat
- die hab ich satt!
7
Und überhaupt ist ja zum Schrein
Der ganze deutsche Skatverein
Dies dreigeteilte deutsche Land
Und was ich da an Glück auch fand
Das steht auf einem andern Blatt
- ich hab es satt!






Last modified: Thursday, 27 September 2012, 2:43 PM